Industrial Data Space: Klare Regeln für Dateneigentum sind für Industrie 4.0 unentbehrlich

11.04.2017

Die Vernetzung und Verfügbarkeit von Daten sind zentrale Merkmale der Digitalisierung der Industrie. Daten emanzipieren sich dabei von Software- und Hardwarestrukturen und werden so zu eigenständigen ökonomischen Gütern. Hieraus entstehen für Unternehmen neue Möglichkeiten, wenn eindeutige und akzeptierte Verständnisse des Eigentumsbegriffs geschaffen werden können.

Über Jahrhunderte haben sich für die materielle Welt Strukturen herausgebildet, die Voraussetzung für den globalen Austausch von Waren und eine prosperierende Wirtschaft sind. Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich Konzepte entwickelt, die Prinzipien zur Bewirtschaftung materieller Güter auf den Umgang mit Daten übertragen. Auch die Unterschiede zwischen Daten als immateriellen Gütern und materiellen Gütern sind bekannt, denn Daten sind keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Das geistige Eigentum bspw. an Patenten oder Urheberrechten an Texten oder Bildern gilt schon lange als immaterieller Wirtschaftsfaktor.

 

Eigentum und Besitz an Daten

Analog zur Infrastruktur für den Warenaustausch muss auch für den sicheren Datenaustausch in Datennetzen eine passende Infrastruktur vorhanden sein, damit sich neue Möglichkeiten wirtschaftlich erfolgreich entwickeln können. Bereits in der materiellen Welt ist der Unterschied zwischen Eigentum und Besitz abstrakt, aber notwendig. Das Verständnis, dass der Zugriff auf den Gegenstand, also der Wechsel des Besitzers, nicht zwangsläufig mit einem Eigentumswechsel verbunden ist, wird dort akzeptiert. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen der materiellen Welt und der Datenwelt. Daten können ohne Qualitätsverlust beliebig oft kopiert und damit vervielfältigt werden. Um das Eigentumsrecht in der digitalen Welt zu regeln, sind daher technische Vorkehrungen eine notwendige Voraussetzung. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass bei der Veredelung von Daten die Eigentumsrechte an den Originaldaten klar geregelt sein müssen. Der Wert der Daten muss wie in der materiellen Welt zusammengesetzt sein aus dem Wert der Originaldaten und aus dem Mehrwert der Veredelung. In der materiellen Welt ist es selbstverständlich, dass der Buchdrucker nur für den Druck bezahlt wird und nicht für den Wert des gesamten geistigen Eigentums der gedruckten Blätter.

 

Zur Realisierung eines effizienten digitalen Ökosystems ist die Etablierung global anerkannter Rahmenbedingungen zum Datenbesitz, Dateneigentum und deren Übergang notwendig. Allerdings besteht zwischen der materiellen Welt und der Datenwelt ein erheblicher Unterschied in den Möglichkeiten der Kontrolle. Durch technisch problemlose und vollständig qualitätserhaltende Vervielfältigung der Daten können sich für den Eigentümer unerwünschte Eigentumsverschiebungen ergeben, die durch klare Regeln und deren technische Umsetzung verhindert und kontrolliert werden können. Diese Vorkehrungen müssen für alle Beteiligten am Wirtschaftsleben transparent und vertrauenswürdig aufgesetzt sein.

 

Das Programm des Industrial Data Space

Ein Kernanliegen des Industrial Data Space ist die digitale Souveränität der Dateneigentümer in der industriellen Datenwirtschaft. Konkret zielt der Industrial Data Space auf eine Lösung des beschriebenen grundsätzlichen Problems des Dateneigentums, des Dateneigentumsübergangs und den damit verbundenen Besitzübergängen ab und möchte für technische Rahmenbedingungen einen Vorschlag verbreiten. Dabei stehen folgende Elemente im Vordergrund:

 

• Bereitstellung einer Infrastruktur für den sicheren Austausch von Daten;

• Bereitstellung von Konzepten zum „Anheften“ von Nutzungsbedingungen an die Daten durch den Dateneigentümer;

• Etablierung einer Vertrauensbeziehung zwischen Datenanbieter und Datennutzer (durch Zertifizierung);

• Schutz der Interessen von KMUs durch die Aggregation von Kaufkraft;

• Reduktion der juristischen Aufwände (insbesondere auch für KMUs) durch die Etablierung von Standard-Lizenzmodellen;

• Etablierung von standardisierten Preismodellen;

• Vorhandensein einer vertrauenswürdigen dritten Partei zur Schlichtung und zur Feststellung des Datenwerts.

Rein technisch gesehen werden sogenannte Industrial-Data-Space-Konnektoren bei jedem teilnehmenden Wirtschaftspartner notwendig. Das Ziel des Konnektors ist es, in Form eines Softwarepaketes sicherzustellen, dass die notwendigen Regeln technisch umsetzbar sind und technisch überprüft werden können.

 

Der eigentliche Datenübergang zwischen Wirtschaftspartnern erfolgt durch ausreichend verschlüsselte Datensätze. Die Verwaltung von Verschlüsselung und Zugriffskontrolle und damit die Nutzung der Daten ist mit Zustimmung der jeweiligen Dateneigentümer ein wichtiger Aspekt der technischen Lösung des Industrial Data Space. Die Daten müssen für einen unternehmensübergreifenden Datenaustauch nicht an einer zentralen Stelle, wie bspw. in einem Data Lake, vorgehalten werden, an dem sich Nutzer „bedienen“, sondern können dezentral unter der Kontrolle des anbietenden Unternehmens bereitgestellt werden.

Als optionale, unabhängige Partei, die zum einen überprüft, ob Eigentümer A der tatsächliche Eigentümer A der Daten ist, und zum anderen, ob das Ziel der Datenübertragung der tatsächliche Zielort B ist, der vom Eigentümer A vorgesehen ist, kann eine Clearingstelle integriert werden. In diesem Zusammenhang werden auch festgelegte Regeln für die Datennutzung in Form eines Manifests übertragen. Die Vision ist es, hierdurch die vom Eigentümer erlaubte Art der Datennutzung transparent umzusetzen. Datennutzung kann eine einmalige Nutzung und folgende Löschung der Daten, mehrmalige Nutzung oder den kompletten Dateneigentumsübergang umfassen. Es wird auch das erlaubte Zeitfenster der Datentransaktion und evtl. eine gegenläufige Transaktion übertragen, welche die vom Dateneigentümer vorbestimmte Vergütung für die Nutzung der Daten bzw. des Dateneigentumsübergangs beschreibt, wodurch rechtlich definierte Regelungen des Datenaustauschs technisch implementiert werden.

 

Wie in der materiellen Welt der Eigentumsschutz in verschiedenen Sicherheitsstufen abläuft – von einfachen Schlössern bis zu hoch gesicherten Safes – wird auch im Industrial Data Space eine Hierarchie von Sicherheitsstufen, von ungesichert bis höchstgesichert, angestrebt.

 

Niedrigere Sicherheitsstufen des Industrial Data Space beschränken sich dabei auf die Überwachung der Transaktionen. Die Vision für höhere Sicherheitsstufen ist die mögliche Überprüfung, ob ausschließlich die zugelassene Transaktion ausgeführt wird und keine andere. Bei der höchstgesicherten Version werden die Daten selbst nicht übertragen. In diesem Fall wird mit dem Verfahren nur die gewünschte Funktion übertragen, die auf die Daten angewandt werden soll. Dabei wird das Ergebnis dieser Funktion zurückübermittelt. Die Daten bleiben nicht nur Eigentum, sondern auch im Besitz des Dateneigentümers.

 

Zusammengefasst kann der Industrial Data Space die Grundlage für ein offenes, allgemein anerkanntes technisches Verfahren für alle Datentransaktionen bilden. Der Aufbau eines derartigen Vertrauenslevels mit dem Zusatz „Made in EU“ könnte den globalen Austausch und damit das Wachstum für zukünftige datengetriebene Geschäftsmodelle nicht nur substanziell unterstützen, sondern in der Breite eine einfache Wertschöpfung möglich machen.

Bernhard Müller 

Senior Vice President Industry 4.0

Seit 2009 ist Bernhard Müller in der Geschäftsleitung der SICK AG und dort seit Juli 2015 verantwortlich für das Thema Industrie 4.0. Mehr als 25 Jahre beschäftigt er sich mit der Qualifizierung der Datenübertagung in den weltweiten Netzen verschiedener Telekom-Anbieter. Bereits seit seinem Studium der Elektrotechnik und später als Geschäftsführer diverser Unternehmen begleitet ihn die vernetzte Kommunikation.

 
 

 

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